
Wolfgang Schmidbauer "Böse Väter, kalte Mütter?"
Wien [ENA] Wolfgang Schmidbauer, einer der bekanntesten deutschen Psychoanalytiker, hat in seinem Buch "Böse Väter, kalte Mütter? Warum sich Kinder schlechte Eltern schaffen" unter anderem auf die Rolle der imaginären Elemente in der Kind-Eltern-Beziehung hingewiesen, in der Wunschvorstellungen von einer heilen Familie und von Geliebtsein an die Stelle einer Realität treten, die nur eher ausnahmsweise diesem Ideal entspricht.
"Nicht an allem sind die Eltern schuld" meint auch Susanne Zita in einem Artikel zu dem Buch in der Kronen Zeitung vom 3. 11. 2024 und problematisiert ebenfalls die "Dämonisierung von Eltern als Massensport". Das hat auch damit zu tun, dass die Therapiesprache heute zunehmend inflationär verwendet wird und Begriffe wie traumatisiert, toxische Beziehung, narzisstisch oder psychotisch fließen wie selbstverständlich in die Alltagssprache ein und führen letztendlich zu einer Psychologisierung der Gesellschaft, in der das Modell der Alleinverantwortung der Eltern, besonders der Mütter, für das glückliche Kind konstruiert wird. Aber in einer individualisierten Gesellschaft sind eben auch die seelischen Belastungen Teil der imaginären Elemente.
Je länger die Abhängigkeit von den Eltern dauert, desto mächtiger werden die Phantasien auf beiden Seiten und fehlerhaft empfundene Eltern können dabei für alles Böse verantwortlich gemacht werden. So können anklagende Kinder immer Kinder bleiben, resümiert Wolfgang Schmidbauer und er sieht in der Rückbesinnung auf die animalischen Grundlagen unserer Familienbeziehungen einen Schutz vor Romantisierung, in der illusionäre Erwartungen an Eltern und Kinder sich als unerreichbar erweisen. Dabei geht nämlich die Möglichkeit verloren, das Gegenüber in seiner Schwäche zu akzeptieren, anstatt gegenseitige Entwertungen und die Suche nach Schuldigen vorherrschen zu lassen, Strategien, die sich letztendlich zu unauflösbaren Problemen verfestigen.